Impfungen in Deutschland – Ein wesentlicher Beitrag zur öffentlichen Gesundheit
Impfungen im öffentlichen Interesse
Impfungen gehören zu den wichtigsten und wirksamsten präventiven Maßnahmen,
die in der Medizin zur Verfügung stehen. Darin sind sich führende Wissenschaftler
einig. Und dennoch werden sie kontrovers und nicht selten emotional
diskutiert.
Kritiker führen an, dass Impfungen überflüssig, schädlich und von den Interessen
der Pharmaindustrie gesteuert seien. Befürworter verweisen auf die Erfolge wie die
dramatische Reduzierung und sogar Ausrottung von Infektionskrankheiten. Und
dazwischen liegt die nicht unbedeutende Gruppe der Skeptiker. Es ist paradox,
aber sie wird unter anderem durch die Erfolge des Impfens gestärkt. Da Diphtherie,
Kinderlähmung und andere Erkrankungen aufgrund der Impferfolge heute
kaum noch vorkommen, halten manche die Schutzimpfung für überflüssig.
Tatsächlich sind die Zusammenhänge, Ursachen und Wirkungen im Impfwesen
komplex. Die Broschüre soll zu mehr Transparenz beitragen und zeigen, wie das
Impfwesen im Sinne des öffentlichen Gesundheitsschutzes geregelt ist.
Dr. Burkhard Rieke
Internist, Tropenmedizin, Infektiologie
Fachleiter Impf-Experten
Welche Impfungen gibt es?
Es gibt in Deutschland die von der STIKO empfohlenen Standardimpfungen für Kinder, Jugendliche und
Erwachsene. Darüber hinaus gibt es Indikationsimpfungen, die aufgrund eines speziellen Anlasses – wie zum
Beispiel einer Reise oder einer beruflichen Exposition – sinnvoll sind. Insgesamt kann zur Zeit gegen mehr als
20 verschiedene Infektionskrankheiten geimpft werden.
Wer übernimmt die Kosten?
Seit dem Wettbewerbsstärkungsgesetz 2007 (GKV - WSG), müssen
die von der STIKO empfohlenen Impfungen von den Krankenkassen
bezahlt werden, sobald sie der Gemeinsame Bundesausschuss
bestätigt hat und sie in die Schutzimpfungsrichtlinie eingegangen
sind. Die Kosten für weitere Impfungen können Kassen
auf freiwilliger Basis erstatten. Viele Krankenkassen, aber nicht alle,
übernehmen die Kosten für Impfungen, die über die Schutzimpfungsrichtlinie
hinausgehen. Die Internetseiten www.reisemedexperten.
de und www.impf-experten.de geben dazu Auskunft.
In allen Bundesländern gibt es zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen
und den gesetzlichen Krankenkassen regionale Impfvereinbarungen,
in denen das Honorar des Arztes festgelegt ist.
Deshalb können die meisten Impfungen über die Krankenversicherungskarte abgerechnet werden. Ausgenommen
sind die Impfungen, die von den Krankenkassen auf freiwilliger Basis, außerhalb der Schutzimpfungsrichtlinie
erstattet werden. Hier müssen Versicherte zunächst in Vorleistung treten und können die Rechnung über den
Impfstoff anschließend bei ihrer Kasse einreichen.
Anders als bei Arzneimitteln müssen Versicherte bei Impfungen gemäß der Schutzimpfungsrichtlinie keine
Zuzahlung leisten.
Impfungen sind...
... in Deutschland freiwillig
Obwohl Impfungen nicht nur für den Einzelnen (Individualschutz),
sondern auch für die Allgemeinheit (Kollektivschutz) einen hohen
Wert haben, gibt es in Deutschland keine Impfpflicht. Jeder Einzelne
kann darüber entscheiden, ob er selbst geimpft werden
möchte. Eltern entscheiden für ihre Kinder. Hilfe bei dieser Entscheidung
bieten Haus- und Kinderärzte. Die wissenschaftliche
Grundlage liefert die STIKO. Die Empfehlungen und weitere Informationen
veröffentlicht das Robert Koch-Institut im Internet:
www.rki.de. Im Notfall kann auf der Grundlage des Infektionsschutzgesetzes
eine Impfpflicht eingeführt werden.
... in anderen Ländern manchmal Pflicht!
Für die Teilnehmer am Hadsch, der islamischen Pilgerreise
nach Mekka, ist die Impfung gegen Meningokokken eine
Pflichtimpfung.
Von vielen Ländern wird die Gelbfieberimpfung bei der Einreise
verlangt, wenn man sich zuvor in einem afrikanischen
oder südamerikanischen Land aufgehalten hat, in dem Gelbfieber
vorkommt.
Zahlreiche Länder wie die USA, Großbritannien, Spanien
und Australien fordern für den Besuch von Schulen und Hochschulen
u.a. die Impfungen gegen Meningokokken und Masern.
... bei Jugendlichen und Erwachsenen oft unvollständig
2006 und 2007 kam es in Nordrhein-Westfalen zu erheblichen
Masernausbrüchen, bei denen zu 95 Prozent ungeimpfte Schüler
zwischen 9 und 18 Jahren betroffen waren. Eine anschließende
landesweite Impfkampagne an Schulen verdeutlichte, dass insbesondere
ältere Schüler und Schüler mit Migrationshintergrund
erhebliche Defizite in ihrem Impfschutz aufweisen. Durch die Kampagne
konnte der Impfschutz deutlich verbessert werden. Seit 2010
empfiehlt die STIKO die Impfung gegen Masern für alle nach 1970
geborenen Erwachsenen - vorzugsweise mit einem Kombinationsimpfstoff
gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR).
Trotz aller Bemühungen gibt es noch deutliche Impflücken. Das Ziel
der WHO (World Health Organization) für die saisonale Grippeschutzimpfung
(Influenza) wird in Deutschland nicht erreicht:
75% aller über 65-Jährigen sollten danach geimpft sein. In der
Grippesaison 2007/2008 waren beispielsweise nur 52% der 65- bis
69-Jährigen geimpft und nur 61% der 70- bis 74-Jährigen. – Dies,
obwohl die Impfung von der STIKO empfohlen ist und von den
Kassen bezahlt wird. Noch weniger wird bisher die Empfehlung der
STIKO für die HPV-Impfung berücksichtigt: nur 30% der Mädchen
zwischen 12 und 17 Jahren haben sich impfen lassen, trotz der
Kostenübernahme durch die Krankenkassen.
... oftmals sinnvoll, auch wenn es keine Standardimpfung ist
Reiseimpfungen gehören beispielsweise dazu. – Sie schützen beim Aufenthalt in bestimmten
Regionen der Welt vor Krankheitserregern, die in der Heimat nicht vorkommen
oder unbedeutend sind. – Aber auch die Schluckimpfung gegen Rotaviren für Babys.
Rotaviren sind sehr widerstandsfähig und verursachen bei rund 90% der Kinder bis zum
3. Lebensjahr Durchfallerkrankungen, die schnell zur lebensbedrohlichen Austrocknung
führen können. Kinderärzte informieren über die Impfung.
Impfkalender für Deutschland
Welche Impfungen werden für welches Alterempfohlen und wann sind Auffrischungen
notwendig? Unser Impfkalender gibt Auskunft, adaptiert nach den Empfehlungen der STIKO.
Impfkalender (Standardimpfungen) für Säuglinge und Kleinkinder bis 2 Jahre
Impfungen
Alter in Wochen
Alter in Monaten
6
2
3
4
11-14
15-23
Tetanus (Wundstarrkrampf)
G1
G2
G3
G4
N
Diphtherie
G1
G2
G3
G4
N
Keuchhusten (Pertussis)
G1
G2
G3
G4
N
Haemophilus influenzae Typ b (Hib)
G1
G2a)
G3
G4
N
Kinderlähmung (Poliomyelitis)
G1
G2a)
G3
G4
N
Hepatitis B
G1
G2a)
G3
G4
N
Pneumokokken
G1
G2
G3
G4
N
Rotaviren
G1b)
G2
(G3)
Meningokokken C
G1 (ab 12 Monate)
Masern, Mumps, Röteln (MMR)
G1
G2
Windpocken (Varizellen)
G1
G2
Stand: August 2013, adaptiert nach den Empfehlungen der STIKO
G
Grundimmunisierung (in bis zu 4 Teilimpfungen G1 – G4)
N
Nachholimpfung (Grundimmunisierung aller noch nicht Geimpften bzw. Komplettierung einer unvollständigen Impfserie)
a)
Bei Anwendung eines monovalenten Impfstoffes kann diese Dosis entfallen.
b)
Die 1. Impfung sollte bereits ab dem Alter von 6 Wochen erfolgen, je nach verwendetem Impfstoff sind 2 bzw. 3 Dosen im Abstand von mindestens 4 Wochen erforderlich.
Impfkalender (Standardimpfungen) für Kinder ab 2 Jahren, Jugendliche und Erwachsene
Impfungen
Alter in Jahren
2-4
5-6
9-11
12-17
ab 18
ab 60
Tetanus (Wundstarrkrampf)
N
A1
A2
A (ggf. N)
Td-Auffrischimpfung alle 10 Jahre.
Die nächste fällige Td-Impfung einmalig als Tdap- bzw. bei entsprechender Indikation als Tdap-IPV-Kombinationsimpfung.
Diphtherie
N
A1
A2
Keuchhusten (Pertussis)
N
A1
A2
Haemophilus influenzae Typ b (Hib)
N
Kinderlähmung (Poliomyelitis)
N
A1
ggf. N
Hepatitis B
N
Meningokokken C
N
Masern
N
Sc)
Mumps, Röteln
N
Windpocken (Varizellen)
N
Grippe (Influenza)
S jährliche Impfung
Pneumokokken
Sb)
Gebärmutterhalskrebs (HPV, Humanes Papillomvirus)
S Mädchen und junge Frauen
Stand: August 2013, adaptiert nach den Empfehlungen der STIKO
A
Auffrischimpfung
S
Standardimpfung
N
Nachholimpfung (Grundimmunisierung aller noch nicht Geimpften bzw. Komplettierung einer unvollständigen Impfserie)
b)
Einmalige Impfung mit Polysaccharid-Impfstoff, Auffrisch impfung nur fur bestimmte Indikationen empfohlen
c)
Einmalige Impfung fur alle nach 1970 geborenen Personen ≥ 18 Jahre mit unklarem Impfstatus, ohne Impfung oder mit nur einer Impfung in der Kindheit, vorzugsweise mit einem MMR-Impfstoff
Einer für alle – alle für einen
Eine Besonderheit der Impfungen liegt darin, dass sie nicht nur dem Geimpften selbst
Schutz bieten, sondern auch der Allgemeinheit. Denn sobald ein hoher Anteil der
Bevölkerung geimpft ist, können sich die Krankheitserreger kaum noch ausbreiten.
Bestenfalls werden sie sogar ausgerottet. Ungeimpfte, wie z.B. Säuglinge oder chronisch
Kranke, erhalten so einen “Herdenschutz” durch die Gemeinschaft der
Geimpften. Die gesundheitliche Situation der Bevölkerung verbessert sich insgesamt.
Impfausweis
Jede Impfung wird in den persönlichen Impfausweis eingetragen.
Er sorgt für zusätzliche Sicherheit, indem er den Impfstatus
dokumentiert und Auskunft gibt, wann Auffrischungsimpfungen
notwendig werden.
Unabhängige Institutionen prüfen
und überwachen in Deutschland Qualität, Sicherheit
und Nutzen von Impfungen
Die Empfehlungen von Impfungen,
Sicherheit und Wirksamkeit von
Impfstoffen sowie die Übernahme der
Impfkosten sind in Deutschland
geregelt. Beteiligt sind Wissenschaftler
am Robert Koch-Institut und am Paul
Ehrlich-Institut, Experten der Ständigen
Impfkommission und Vertreter des
Gemeinsamen Bundesausschusses.
Eine wesentliche Grundlage liefert §20
des Infektionsschutzgesetzes.
Robert Koch-Institut (RKI)
Das RKI ist die zentrale Einrichtung der
Bundesregierung auf dem Gebiet der
Krankheitsüberwachung und -prävention.
Die Kernaufgaben sind die Erkennung,
Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten,
insbesondere der Infektionskrankheiten.
Es gehört zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Gesundheit.
Paul Ehrlich-Institut (PEI)
Das Paul-Ehrlich-Institut ist u.a. zuständig
für die Zulassung und staatliche Chargenfreigabe
von biomedizinischen Arzneimitteln
wie Impfstoffen. Es trägt wesentlich
zur Sicherheit dieser Arzneimittel bei
und gehört, wie das RKI, zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für
Gesundheit.
Ständige Impfkommission (STIKO)
Die STIKO ist ein Expertengremium
am Robert Koch-Institut mit 12 bis
18 Mitgliedern, das Empfehlungen zur
Durchführung von Schutzimpfungen
gibt. Die Empfehlungen der STIKO, die
einmal jährlich im Epidemiologischen
Bulletin veröffentlicht werden, gelten
als medizinischer Standard und dienen
den Bundesländern als Vorlage für ihre
öffentlichen Impfempfehlungen.
Gemeinsamer Bundesausschuss (GBA)
Der GBA ist ein Gremium der Gemeinsamen
Selbstverwaltung von Ärzten,
Krankenhäusern und Krankenkassen.
Er bestimmt welche Leistungen der medizinischen
Versorgung - also auch
welche Impfungen - von den Krankenkassen
erstattet werden. Grundlage für
die Schutzimpfungsrichtlinie bilden die
aktuellen STIKO Empfehlungen.
Landesbehörden
In jedem Bundesland sprechen die zuständigen
Landesbehörden öffentliche
Empfehlungen für Schutzimpfungen
aus. Es kommt vor, dass diese über den
Rahmen der STIKO-Empfehlungen hinausgehen.
Die Länder übernehmen
damit wesentlich Verantwortung und
haften für die Entschädigung, falls Impfschäden
auftreten sollten.
Goodbye Masern?!
An Masern müsste bald keiner mehr erkranken, wenn mindestens 95%
der Kinder vollständig geimpft wären. Eigentlich wollten die WHO und
die nationalen Gesundheitsbehörden dies bereits bis 2010 erreicht
haben. Doch Deutschland verpasste das Ziel. Nahe dran sind bereits
die skandinavischen Länder, die Niederlande und die USA.
Für Deutschland empfiehlt die STIKO seit 2010 nicht nur 2 Impfdosen
der Masern-, Mumps-, Röteln-Impfung für alle Kinder im 2. Lebensjahr,
sondern auch eine einmalige Impfdosis für alle nach 1970
geborenen Erwachsenen mit unklarem Impfstatus, ohne
Impfung oder mit nur einer Impfung in der Kindheit.
Erfolg durch Impfprogramme
Weltweite Impfprogramme haben 1980 für die Ausrottung der Pocken gesorgt. Das Ziel der Welt-
Gesundheits-Organisation (WHO) und der nationalen Gesundheitsbehörden ist nun, dies auch für
die Masern und Poliomyelitis zu erreichen. Der Erfolg ist möglich, wenn sich genügend Menschen
impfen lassen. 2002 konnte die WHO Europa für “Polio-frei” erklären. Die “Kinderlähmung” tritt seitdem
nur noch in einzelnen Ländern Afrikas und Asiens auf. Aber es droht Gefahr: Beispielsweise erkrankten
Mitte 2010 mehrere Hundert Menschen in Tadschikistan an Polio. Kurze Zeit später wurde
der Erreger nach Russland eingeschleppt. Dort trat damit nach 30 Polio-freien Jahren die Krankheit erstmals
wieder auf.
Es besteht Handlungsbedarf
Gefordert sind vor allem Politik, Krankenkassen, der Öffentliche
Gesundheitsdienst und Ärzte, um die gewünschten Ziele der
WHO und nationalen Gesundheitsbehörden zu erreichen. Doch
was können die Akteure im Gesundheitswesen unternehmen?
Nationale Impfziele kommunizieren und begründen
Kompetenz über Sinn, Nutzen, Risiken und Anwendung von
Impfungen bei Meinungsführern steigern
Stetige und systematische Aufklärung über Impfungen in der
Breite fördern
Zielgruppenspezifische Impfkampagnen initiieren
Kompetenten und transparenten Umgang mit Medien fördern